Zweimal pro Jahr bin ich als Dozentin im CAS «Systemisches und Agiles Projektmanagement» der Berner Fachhochschule unterwegs. Mit meinem Erfahrungsrucksack an gelungenen und auch gescheiterten Projekten – in den verschiedensten Organisationen, in Wasserfall, Agilität und Selbstorganisation – übernehme ich das Modul «Hybrides Projektmanagement».
Hier kommt alles bereits Gelernte zusammen: Systemisches wie Agiles Projektmanagement erhalten hier den Reality-Check für den komplexen Arbeitsalltag der Studierenden. Meistens verlangt unser heutiger Berufsalltag als Projektleiter:in ja eine Mischform von klassischen und agilen selbstorganisierten Herangehensweisen, Methoden und Tools:
Willkommen auf der Spielwiese des «Hybriden Projektmanagements».
Diese drei Tage sind wir auf der Suche nach passenden umsetzbaren Lösungen für die komplexen Herausforderungen im Projekt.
Und du ahnst es schon: In diesem Tummelfeld an Möglichkeiten gibt es kein «richtig» oder «falsch». Meistens nicht einmal ein «entweder oder». Unsere Maxime lautet «sowohl als auch». Sich für Analyse und Reflexion zu öffnen und mit diesem erfahrenen Wissen funktionierende Handlungsoptionen zu erkennen und umzusetzen, das ist «Hybrides Projektmanagement».
Doch dann…dann kommt der Moment der Benotung.
Und alle Offenheit und Experimentierfreude und aller Mut sind direkt im Eimer. Energetisch konnte ich das jedes Mal wahrnehmen. Und wie sollte das auch funktionieren: «sowohl als auch» lässt sich schlecht in eine Note packen.
Selbsteinschätzung und Peer-Feedback sind in diesem Setting auch keine Lösung: Wirklich kritische (Selbst-)Reflexion mit dem Fokus auf Gelungenes UND die Lernfelder und eine hohe Punktzahl schliessen sich mit dem klassischen Konzept von Benotung eher aus.
Offenheit, Experimentierfreude und Mut lassen sich schwer messen, lassen sich schlecht in Noten und Punkte quetschen. Dafür können wir beobachten und wahrnehmen, Hypothesen für verschiedene Szenarien bilden, weisse Flecken beleuchten, Handlungsoptionen erarbeiten…
Für diese Art der Arbeit brauchen wir einen «safe space». Einen Raum, der freies Denken fördert, wo unsere Experimente nicht direkt be-wert-et und be-urteil-t werden, sondern konstruktive Auseinandersetzung und persönliche Entwicklung ermöglicht.
Und jetzt die mega coolen News: Für dieses Semester habe ich gemeinsam mit Leo und meinen Teamkollegen entschieden, die Benotung im Modul «Hybrides Projektmanagement» einfach abzuschaffen.
YES! Doch was ist passiert?
Aus meiner Perspektive sind alle(!) Hypothesen aus dem positiven Menschenbild von McGregor eingetroffen:
Wenn ich annehme, dass Menschen von Natur aus motiviert und vielseitig interessiert sind und gern gemeinsam erfolgreich sind > dann bin ich bereit, Verantwortung und Spielraum zu geben > wenn ich das tue, werde ich Engagement und Motivation wahrnehmen und > Menschen erleben, die initiativ sind, die bereits sind, ihre Leistung zu bringen und Verantwortung zu übernehmen. Eine selbsterfüllende Prophezeiung.
Vor drei Wochen begegnete ich einer eher müden Truppe: das CAS mit jeder Menge Leistungsnachweisen fast geschafft und im Nacken bereits die Abschlussarbeit, der nächste Release, das volle Email-Postfach… Als wir zu Beginn unsere Zusammenarbeit klärten und den Studierenden klar wurde, dass wir «nur» mit Eigenmotivation und Neugier und ohne Noten arbeiten werden, ging jedoch ein Riesen-Energieschub durch den Raum.
Ich konnte förmlich die Last von den Schultern plumpsen hören. Experimentierfreude und Wissensdrang machten sich breit: «Super!», «Und so entlastend!», «Nun kann ich mich darauf konzentrieren, was ich lernen möchte und weniger darauf, was ich brauche, um das Modul zu bestehen.»
Ein Gänsehaut-Moment für mich.
Und noch ein Gänsehaut-Moment beim Check-Out: Mehrere Studierende teilten, dass ihnen diese Lernstruktur sogar einen Energieschub für die CAS-Abschlussarbeit gibt.
Diese Kraft war auch für mich spürbar: Trotz Montagnachmittag/ -abend hatten wir einen mega coolen kraftvollen Groove. Und es war offensichtlich, dass das Loslassen der Benotung ein Baustein für unseren «safe space» war: So offen und kritisch – auf eine neugierige und positive Art – habe ich noch selten eine Gruppe erlebt. Hat richtig Spass gemacht! Tausend Dank an euch für diese Erfahrung. Und nun freue ich mich auf mehr: bis nachher im Project Space der BFH in Biel.
Neugierige Grüsse,
Was sind deine Gedanken und Erfahrungen? Lass es mich wissen und wir bleiben im Gespräch: franziska.gottschalk(at)all-dimensions.com